Buchreste
"Leben ist das, was passiert,
während Du eifrig dabei bist
andere Pläne zu machen."
(John Lennon)
VORWORT
von Michael Novy
Im Januar 2016 haben die Puhdys in Berlin ihre letzten beiden Konzerte in der ausverkauften Mercedes-Benz-Arena gegeben. Ein dreistündiges Spektakel voller Emotionen, von dem ich heute noch begeistert bin. Das Konzert wurde anschließend als Live-CD, Blu-ray und DVD veröffentlicht und ich bekomme jedes Mal eine Gänsehaut, wenn ich mir diese Aufnahmen anschaue.
Die Puhdys haben 47 Jahre lang zusammengehalten, sind gemeinsam durch dick und dünn gegangen und haben in den verschiedensten Ländern vor unglaublichen Menschenmassen gespielt. Viele der Puhdys-Bandmitglieder waren zur Bandauflösung jenseits der siebzig und konnten trotzdem nicht ruhen, weil sie das Feuer und die Leidenschaft auch danach in sich trugen und das Verlangen spürten, weiter zu machen. Sie begannen, jeder für sich allein, eine Solokarriere und ich bin überzeugt davon, dass sie bis zu ihrem Tod nicht die Finger von der Musik lassen können.
Ja, man kann sagen, dass ich mit dieser Musik aufgewachsen bin und mich die Lieder in meiner Jugendzeit geprägt haben und mich heute noch prägen. Sie hat mich begleitet und wird mich für immer begleiten. Klar, dass ich mir als junger Musiker auch für meine eigene Band immer einen ähnlichen Lebenslauf gewünscht habe, wie ihn meine Idole erleben durften. Auch in meinem Leben spielte die Musik schon immer eine sehr große Rolle. Sie half mir stets Probleme zu lösen, zu verstehen, zu bewältigen und schwere Zeiten zu überstehen.
Die Musik ist ein Virus und eine Sucht! Wenn man einmal infiziert ist, lässt sie einen nicht mehr los. Wenn man meine Lieder hört, wird man schnell feststellen können, dass viele von ihnen mein Leben wie kleine Geschichten erzählen. Dadurch sind sie freiwillig oder unfreiwillig autobiographisch.
Jeder Song, den ich spiele, gibt mir außerdem auf seine ganz eigene Art und Weise neue Kraft für meinen weiteren Lebensweg und die Leute, die meine Musik hören, liefern mir die Geschichten, Erinnerungen und Inspirationen, die nun in diesem Buch für die Ewigkeit geschrieben stehen. Jede einzelne Geschichte davon gehört fest zu meinem Leben, an dem ich die Leser dieses Buches teilhaben lassen möchte.
Natürlich werden nun viele Kritiker fragen, warum ein junger Mensch, der noch nicht einmal 40 Jahre alt ist, eine Art Autobiographie veröffentlicht. Das verstehe ich. Dennoch habe ich schon einige Dinge erlebt, die ich erzählen möchte. Für mich gibt es nichts Schöneres, wenn die Songs, die mir so unendlich viel bedeuten, vom Publikum mitgesungen werden und jeder Zuhörer seine ganz eigene Lebensgeschichte in den Songtexten wiederfindet. Dadurch merke ich, dass ich mit meinen Gedanken nicht alleine bin und mit meiner Musik etwas erreicht habe.
Auch wenn ich natürlich bei weitem nicht so professionell und erfahren bin, wie die Puhdys oder andere Autoren, deren Biographien gut und gerne mal bis zu 700 Seiten füllen, so kann ich mit diesem Buch vielleicht all den Leuten, die meine Projekte von Anfang an seelisch und moralisch unterstützen, etwas ganz persönliches von mir zurückgeben. Ohne den Glauben meiner Sympathisanten an mich, hätte ich wohl schon tausende Male das Handtuch geworfen - und zwar nicht nur musikalisch.
Ich danke Euch von Herzen für das Interesse an meinem Leben und meinen Projekten und wünsche Euch viel Freude beim Lesen dieses Buches.
Euer Michael
KALTE TEUFEL & DIABOLIC-RIDER
Vom Mitschüler zum besten Kumpel
Einer meiner wenigen Freunde hieß damals Kalle. Ich lernte ihn während der sechsten Klasse in der Schule kennen. Seine ehemalige Schule wurde aufgrund des damals starken Geburtenrückgangs geschlossen und mit unserer Mittelschule zusammengelegt.
Teilweise war es durch die neuen Mitschüler auf unserem Schulhof wirklich gefährlich, denn es passierte schon mal, dass ein Waschbecken aus dem ersten Stock des Schulgebäudes in Richtung Schulhof flog, das von irgendwelchen Idioten abmontiert und in der Pause aus dem Fenster geworfen wurde. Oft wurde man auch grundlos angepöbelt oder von bösen Blicken verfolgt. Die neuen Mitschüler versuchten mit aller Kraft, sich an unserer sonst sehr friedlichen Schule den größtmöglichen Respekt zu verschaffen.
Einmal ging es sogar so weit, dass ein Schüler, mit einer Gasmaske getarnt, durch das Schulhaus lief und den Hausmeister mit einem Messer attackierte. Daraufhin wurde der Unterricht sofort beendet und wir mussten das Schulgelände verlassen, bis die Polizei den Übeltäter geschnappt hatte.
Aber auch Kalle war kein Kind von Traurigkeit und hatte es faustdick hinter den Ohren. Anfangs mochte ich ihn gar nicht so wirklich. Er war umgarnt von den schönsten Mädchen der Schule und ich fragte mich immer, wie er das schaffte, obwohl er doch nicht mal Gitarre spielte so wie ich. Ja man kann sagen, dass ich diesbezüglich ein bisschen neidisch auf ihn war.
Wir liefen uns aber immer öfter über den Weg, auch nach dem Unterricht. Und irgendwann fragte er mich, ob ich nach der Schule, anstatt im Park abzuhängen, mal mit zu ihm nach Hause kommen wolle, um ein paar seiner Kumpels kennen zu lernen. In der Hoffnung, dass dort auch die vielen hübschen Mädels zugange waren, sagte ich zu.
Als wir bei ihm zuhause ankamen, standen schon fünf Typen vor seinem Haus und warteten auf ihn. Wir gingen rein, rauchten eine Zigarette nach der anderen und tranken einige Liter Bier, die sein Vater, bevor er zur Arbeit ging, ohne Erfolg vor ihm versteckt hatte. Anscheinend bemerkte er, dass sich oftmals sein Biervorrat auflöste, obwohl er selbst kein einziges Bier davon getrunken hatte. Wir Jugendliche saßen also an diesem Tag bis spät abends zusammen und unterhielten uns über alle Themen, die man sich vorstellen kann, bis ich mich schließlich in einem nicht sehr beschaulichen Zustand auf den Heimweg machte. Auf meinem Fahrrad, welches an diesem Abend sehr ausgiebige Schlängellinien fuhr, hatte ich starke Probleme, mich zu erinnern, ob überhaupt Mädels anwesend waren. Schließlich war das ja der Grund, warum ich eigentlich dort gewesen war.
Am nächsten Tag sagte ich Kalle, dass ich gern nochmal mit zu käme, aber nur, wenn dann auch wirklich hübsche Single-Mädels anwesend seien. Er versprach es mir und wir machten uns einen Termin aus. Doch auch bei diesem Treffen ging ich wieder leer aus - zumindest was die Mädels betraf.
Wenige Wochen später trafen wir uns dann nicht mehr bei Kalle zuhause, sondern im Radebeuler Jugend- und Freizeitzentrum "Rosenhof". Das Schöne daran war, dass wir dort keinen Alkohol trinken durften, uns außerdem noch benehmen mussten und sogar sehr viele hübsche Mädels anwesend waren, die im Sommer vergnügt im Bikini den Pool unsicher machten. Es war ein Augenschmaus und sehr großer Spaß für uns Jungs, dem Treiben zuzuschauen und die Mädels mit Wasserpistolen zu bespritzen.
Kalle und ich wurden im Laufe der Zeit immer bessere Freunde und fingen an, uns über unsere Sorgen, Ängste und Gedanken auszutauschen. Dabei stellten wir fest, dass wir in vielen Dingen die gleiche Meinung hatten und er gar nicht so ein Rowdy war, wie die meisten seiner Mitschüler. Irgendwann brauchten wir uns nur noch anzuschauen und wussten, was der andere gerade dachte oder sagen wollte. Ein tolles Gefühl, welches bis heute anhält, wenn wir uns sehen.
Kalle wurde für mich schnell zu einer Art großen Bruder, der mich vor den ach so tollen Hip-Hop-Freaks beschützte und mich bedingungslos so akzeptierte, wie ich war. Wir konnten uns zu jeder Zeit hundertprozentig auf den anderen verlassen und auf den anderen zählen, wenn es darauf ankam.
Kalle und ich
Nach einer der wenigen Auseinandersetzungen, die wir miteinander hatten, sagte Kalle mal zu mir: "Du hast einen verdammt schwierigen Charakter, aber meine Freundschaft zu Dir ist wie eine Hassliebe. Ich kann nicht dauerhaft mit Dir, aber vor allem nicht dauerhaft ohne Dich sein." Dieser Satz hatte mir gefallen, nicht zuletzt, weil er wieder mal haargenau das ausdrückte, was ich damals über ihn dachte.
Später wurde ich von seiner Mutter oftmals zum Essen eingeladen. An solchen Tagen gab es dann kiloweise Hackepeter und selbstgemachte Fettstullen, an denen ich mich hätte tot fressen können - so lecker waren die! Sein Bruder malte mir ein Portrait, welches bis heute meine Wohnzimmerwand schmückt und seine Schwester kenne ich seit ihrer Geburt.
Auch seine gastfreundliche Großmutter und sein oft schlecht gelaunter, aber dennoch liebenswerter, Opa wird mir immer in guter Erinnerung bleiben.
Spiegelbild
Ich steh' vor ihm
ein Teil von mir
kann es gut seh'n
das wilde Tier
Es ist da, wohin ich geh'
Kein Gerücht und keine Lüge
kann allein die Wahrheit sehen
die Blicke klar und niemals trübe
Spiegelbild
Es ist Freund und Feind
dessen Wille niemals bricht
ein Leben lang vereint
hält stets was es verspricht
Mein Spiegelbild
Ewige Flucht
kann mich nicht wehren
Ich biet' ihm Schutz
will kein Herz in Scherben
Höhen und Tiefen meiner ersten Band
Als der Sommer vorbei war, die Mädels im Jugendclub winterlich angezogen waren und die Tage kürzer, dafür aber die Nächte länger und kälter wurden, saßen Kalle und ich eines Abends zu zweit auf einem Sportplatz und philosophierten wild drauf los, so wie wir es öfter taten. Wir redeten über Weltpolitik, Greenpeace, Punks, Neonazis und darüber, wie man die Welt retten, oder zumindest schöner gestalten könnte. Es war der 24. Oktober 2004. Dieses Datum weiß ich noch so genau, weil es der Tag war, an dem Kalle und ich unsere erste Band gründeten. Wir nannten uns "Schwarze Horde", eine Ableitung der Schwarzen Garde.
Die Schwarze Garde war ein seit dem 15. Jahrhundert bestehendes Landknechtsregiment in den Niederlanden und umfasste zirka viertausend Mann. Sie diente unter verschiedenen Herren und war auf die Unterwerfung von freien Bauernschaften an der Nordseeküste spezialisiert. Damit wollten wir damals wahrscheinlich irgendwie zum Ausdruck bringen, dass wir stark genug seien, um um unsere Sache zu kämpfen und dass uns niemand aufhalten könne. Oder es gab einen anderen Grund für diesen Namen, den ich dann aber vergessen habe. Es dauerte auch nicht lange, bis uns klar wurde, dass dieser Name rasch falsche Gerüchte aufbringen könnte und so benannten wir uns, nur wenige Wochen später, in "Kalte Teufel" um. Diesen neuen Namen fanden wir toll, weil der Widerspruch so schön ist: der Teufel, der eigentlich in der Hölle lebt, ist heiß und kalt. Mit diesem Namen wollten wir die Widersprüche der Gesellschaft in unseren Liedern verarbeiten.
Doch bevor wir eigene Songs spielen konnten, fehlte es uns vor allem an zwei wichtigen Merkmalen: an Musikern und vor allem an musikalischem Talent. Gut, ich konnte ja schon ein paar Harmonien auf der Gitarre, aber Kalle hatte überhaupt keine musikalischen Vorkenntnisse. Das musste sich ändern und zwar schnell!
Fortan besuchten Kalle und ich regelmäßig einen Gitarrencrashkurs bei Christian, einem jungen Sozialpädagogen aus unserem Jugendclub. Langsam wurde somit aus der anfänglichen naiven Idee zu musizieren, eine richtige Band.
Ich kaufte mir im Supermarkt eine billige E-Gitarre und einen 3-Watt-Mini-Verstärker und schon ging es los: Akkorde auffrischen und gleich "One" und "Nothing Else Matters" von Metallica üben. Später kam "Smoke on the Water" von Deep Purple oder auch "Wieder mal ein Tag verschenkt" und "Ich bin in Dir" von den Böhsen Onkelz dazu. Man glaubt es kaum, aber diese Songs eignen sich unheimlich gut, um das Umgreifen der Akkorde zu lernen. Kalle und ich spielten also pro Sitzung gefühlte hundertmal diese Lieder und Christian zauberte die dazugehörigen Gitarrensolis auf seinem Griffbrett dazu. Mir machte das so riesigen Spaß, dass ich mich schon bald an eigenen Melodien versuchte. Christian versuchte zwar noch verzweifelt, uns Noten beizubringen, doch wir hatten ja schon unsere eigene Band gegründet und eigentlich gar keine Zeit mehr dafür. Und wie das Leben manchmal spielt, interessierten sich, als der Bandname feststand, auch schon die ersten ominösen Zeitgenossen für uns:
Nach einer Gitarrenstunde mit Christian, wanderten Kalle und ich, mit unseren Gitarren auf dem Rücken, zum nahe gelegenen Dönerladen. Hier waren wir oft, der Betreiber kannte und mochte uns, weil wir immer genügend Trinkgeld gaben. Kaum saßen wir, steuerte ein breiter, kurzhaariger Mann auf mich zu und sprach mich an: "Hey, wie ich sehe , seid ihr junge Musiker. Ich kann Euch ein paar Gigs besorgen und auch Eure erste Platte finanzieren." Etwas erstaunt und völlig überrumpelt von dieser Information, ließ ich mir die Telefonnummer und den Namen des Unbekannten geben, frei nach dem Motto: "Wer weiß wofür es gut ist und vielleicht ist da ja was dran." Zuhause recherchierte ich im Internet, mit wem ich es zu tun hatte. Es war ein Mitglied einer nationaldemokratischen Partei, welche es in Sachsen bereits in den Landtag geschafft hatte und auch in vielen Gemeinden bereits im Stadtrat saß. Nun begann diese Partei, die Jugend für sich zu gewinnen, indem sie Sampler verschiedener Rechtsrockbands als sogenannte "Schulhof-CDs" verbreiteten.
Der Typ, der mir die Nummer gab, war also geschickt worden, um uns zu werben, damit er diese CDs dann, wenn sie fertig wären, an Kinder und Jugendliche verschenken könne, damit diese im besten Falle genauso braun dachten wie er und seine Kameraden. Mutig, hirnlos, oder einfach nur verzweifelt, dass er ausgerechnet zwei überzeugte Punkrocker wie uns in einem Dönerladen ansprach.
Wahrscheinlich dachte er, wir wären so naiv und würden auf seine Masche reinfallen. Bei der nächsten Gitarrenstunde erzählte ich Christian und Kalle, was ich recherchiert hatte. Wir beschlossen, da einfach mal anzurufen und diese Leute zu fragen, was man uns denn dort, bei dieser Partei, alles so versprechen könne.
Uns wurde erläutert, dass diese Partei in der Tat versuche, Jugendliche von ihrem Wahlprogramm zu überzeugen und dafür junge Bands brauche, die hier und da bei Wahlkampfveranstaltungen und Demonstrationen spielen. Dafür würde man den Musikern Proberäume zur Verfügung stellen, eine oder mehrere Produktionen finanzieren und auch fertig geschriebene Songs angeboten bekommen. Er fragte, ob wir interessiert wären.
Wir riefen zu dritt, gleichzeitig und voller Kehle, ins Telefon: "NEIN, VERGISS ES!!!" und legten auf. Für uns war die Sache damit erledigt. Wir konzentrierten uns weiter auf unsere Musik, in die uns niemand rein pfuschte. Hin und wieder standen dann mal irgendwelche Schlägertypen mit Baseball-Keulen und sogar mit einer Schreckschusspistole vor der Tür und forderten, dass wir rauskommen sollten, was wir natürlich nicht taten. Wir riefen lieber von drinnen die Polizei und sahen amüsiert zu, wie sich der Platz vor'm Haus recht schnell wieder leerte.
Stolz präsentierten wir Christian, wenige Wochen später, unsere ersten zwei Songs "Alkohol" und "Kalles Party", die ich vorwiegend allein getextet und komponiert hatte. Christian staunte nicht schlecht, als er dieses Material von seinen Schützlingen hörte und man sah ihm an, dass er irgendwie auch stolz auf uns war. Er beschloss, den Crashkurs zu beenden und versprach mit etwas ungläubigen Blicken, irgendwann zu einem Konzert von uns zu kommen.
Unser Ziel war also klar, wir wollten auf die Bühne, und zwar zügig. Aus heutiger Sicht gebe ich zu, dass diese Songs sowohl textlich als auch musikalisch sehr primitiv waren, aber jeder fängt ja mal klein an und für uns war es der Anfang einer unvergesslichen und tollen Zeit.
Fortan nannten wir unseren Musikstil selbstsicher "Alcoholic-Party-Punk-Hardrock". Wie wir auf diesen kuriosen Namen unseres Genres gekommen waren, weiß ich leider nicht mehr, aber sicher wollten wir uns, wie immer, in keine Schublade stecken lassen und uns von der Masse abheben.
Zwei Jahre zogen ins Land und wir übten, komponierten und texteten, was das Zeug hielt. Wir schrieben Songs über Pädophile, Ungerechtigkeiten und fragwürdige Machenschaften der Kirche, alltägliche Situationen oder auch innere Dämonen, die jeder von uns in sich zu bekämpfen versucht. In dieser Zeit bastelten wir uns ein Repertoire von, sage und schreibe, zehn eigenen Songs.
Geprobt wurde einmal die Woche im Keller eines gemeinsamen Freundes. Seine Mutter war Schauspielerin und Sängerin und unterstützte uns in unserem Vorhaben, die Band voran zu treiben. Sie erduldete viele Abende voller Krach, Ärger mit der neuapostolischen Kirche in unmittelbarer Nachbarschaft - und betrunkene Jugendliche, die uns oft im Proberaum besuchten. Ihr Sohn Marian, mit dem Kalle und ich damals schon seit einiger Zeit befreundet waren, übernahm die Funktion des Bandtechnikers und brachte uns die Einstellungen von Gesangsanlagen und Gitarrenverstärkern bei. Ohne seine Hilfe, wären wir damals echt aufgeschmissen gewesen. Von Marian lernte ich auch, wie man neue Saiten auf die Klampfe spannt und wie man mit diplomatischer Ausdrucksweise seine Mutter und seine Nachbarn davon überzeugt, dass wackelnde Gläser im Schrank, kurz vor Mitternacht, ganz normal seien.
Im Frühjahr 2005 lernten wir völlig unverhofft einen Robert kennen, der wohl schon von irgendwem gehört hatte, dass wir Musik machten. Er kam auf uns zu und wollte eigentlich nur wissen, was für eine Stilrichtung wir einschlugen. Irgendwie hatte es Kalle geschafft, nach unzähligen Flaschen Bier, Robert zu überreden, zu uns in den Proberaum zu kommen und es sich selbst einfach mal anzuhören. Sicher sagte er nur aus dem Grund zu, weil er mit unserem selbst ernannten Genre "Alcoholic-Party-Punk-Hardrock", wie die meisten, nichts anfangen konnte.
Robert spielte schon einige Jahre Schlagzeug und brachte zum ausgemachten Termin direkt seine Drumsticks mit. Ein Schlagzeug stand bereits in unserem Keller zur Verfügung. Wir stellten ihm unsere Songs vor und er konnte sich auf Anhieb eingliedern. Während er spielte, verzog er immer sein Gesicht und sah aus wie ein verfressener Hamster, was ihm schnell den Spitznamen "Hamster" bescherte. Noch am gleichen Abend stieg er in die Band ein und wir waren unserem Ziel wieder einen Schritt näher.
Und es kam noch besser, denn nur wenige Wochen später meldete sich über sieben Ecken Carsten bei uns.
Carsten war ein begnadeter Motörhead-Fan und Bassgitarrist, der sein Fach beherrschte wie kein anderer. Ich kenne bis heute keinen Amateur-Musiker, der so gut die Basssaiten schwingen kann, wie er damals. Dieser riesige Kerl, der ständig eine Lederweste mit einem riesigen Motörhead-Aufnäher trug, brachte jede Menge Erfahrung aus diversen anderen Bands mit und half uns sehr konstruktiv und kreativ beim Komponieren neuer Songs. So entstand mit ihm zum Beispiel ein Intro, welches wir später vor unseren Auftritten einspielten. Auch die einzige Ballade der Punkband ist in Zusammenarbeit mit ihm entstanden: Der Song "Wind des Meeres" war unser Frauenmagnet. Immer wenn Carsten ihn sang, sah man die Mädels im Publikum schwärmen und dahin schmelzen. Es wurde auch mein persönlicher Lieblingssong der Band.
Anfang Juni 2007 umfasste unser Songrepertoire dann bereits 18 eigene Titel und es wurde höchste Zeit, den großen Schritt auf eine kleine Bühne zu wagen und den Leuten da draußen zu zeigen, was in uns steckte.
Bandfoto "Kalte Teufel" 2017
Unser Jugendclub feierte die Neueröffnung seines Mehrgenerationenhauses und veranstaltete auf dem Hof ein großes Openairspektakel. Das schrie ja förmlich nach einem Auftritt für uns. Ich erinnere mich noch sehr genau, dass wir bereits 11 Uhr vor Ort sein sollten, um den Soundcheck zu machen. Carsten rannte nervös über das Gelände und verschwand irgendwann über eine halbe Stunde auf dem Klo. Die Aufregung hatte ihm wohl dezent den Magen umgedreht. Um uns allen ein wenig die Aufregung zu nehmen, brachte Kalle eine Flasche Honigwein mit, die wir in der Zeit zwischen Soundcheck und Auftritt, im wahrsten Sinne des Wortes, vernichteten. Nach einem von Kindern aufgeführten Theaterstück und der ersten Band des Abends, waren wir gegen 17 Uhr an der Reihe. Uns zitterten die Knie als unser Intro aus den Boxen dröhnte und wir uns währenddessen auf der Bühne vor zirka 200 Zuschauern aufstellten. Dieser erste Auftritt lief entgegen unserer Erwartungen dann aber ziemlich gut. Das Publikum verlangte sogar Zugaben, auf die wir natürlich überhaupt nicht vorbereitet waren. Allen hatte es sichtlich gefallen, bis auf den damaligen Oberbürgermeister der Stadt Radebeul, der wohl zur Veranstalterin gesagt haben soll: "Also die letzte Band hätte ja nun wirklich nicht spielen müssen." Ich weiß nicht warum, aber irgendwie machte es uns damals stolz, dass wir der Obrigkeit "zu hart" waren.
In den Jahren 2007 bis 2009 folgten dann zahlreiche Auftritte unserer Band, vorwiegend in der Region Dresden. Vor den Auftritten und bei der wöchentlichen Probe benahmen wir uns natürlich auch schon so richtig wie Rockstars. Wir rauchten und tranken zu viel und flirteten, was das Zeug hielt mit den anwesenden Mädels. Wir glaubten damals, dass unsere Shows dadurch immer geiler wurden und immer mehr Leute nicht genug von uns bekamen. Ja wir hatten regelrechte Höhenflüge, die wir nur schwer im Zaum halten konnten.
Bei einem Konzert im Dresdner Hechtviertel, damals ein Szeneviertel für Punks, Gothics und Metal-Freaks, spielten wir auf gleicher Höhe mit dem Publikum. Dort war die Stimmung so bombastisch und das Pogotanzen so intensiv, dass uns ein Punker direkt ins Schlagzeug sprang.
Lustig war auch, als wir unser Lied "Netter Mann", welches sich thematisch gegen die Machenschaften der Kirche aussprach, in einer Location spielten, die der Diakonie angeschlossen war, also ein evangelisches Haus. Wir wussten das allerdings nicht und spielten wild drauf los. Als der Veranstalter uns im Nachhinein darauf aufmerksam machte, sah man die Gesichter der vier Bandmitglieder zeitgleich rot anlaufen.
Ein weiteres Highlight in dieser Zeit war unser Auftritt bei einer Veranstaltung in Freital. Dort spielten wir vor ungefähr 700 Leuten mit 9 anderen Bands. Es war ein regelrechter Konzertmarathon. Jede Band hatte eine halbe Stunde Zeit, um ihr vorbereitetes Set zu spielen, danach hieß es schnell abbauen und runter von der Bühne. Die Musiker gaben sich also sprichwörtlich die Klinke in die Hand. Als wir vier Stunden vor Veranstaltungsbeginn in der Halle ankamen, war keiner da. Kein Veranstalter, keine Band, niemand - bis auf den Hausmeister, der gerade ein Klo reparierte. Er öffnete uns die Tür und führte uns durch die Räume, als würden wir Interessenten sein, die die marode Industriehalle kaufen wollten. Wir fühlten uns ein bisschen verarscht, machten den Spaß aber mit.
Der Witz war, dass es an diesem Abend einen genauen Zeitplan gab, wann welche Band spielen sollte. Soweit erstmal nicht verwunderlich. Wir waren für 21.30 Uhr eingeplant und warteten auf unseren Auftritt. Doch dem Zeitplan wurde schon zu Beginn der Veranstaltung ein Strich durch die Rechnung gemacht. Denn die erste Band flog aus Irland ein und kam zu spät an. Aber sie bestand darauf, als erste Gruppe aufzutreten, weil sie den Flieger zurück, nicht auch noch verpassen wollte. Also verzögerte sich alles um etwa eine Stunde. Dann fing plötzlich auch der Veranstalter an, die Bands wahllos hin und her zu schieben. Carsten, unser Bassist, nickte schon hinter der Bühne ein. Als wir ihn aufweckten, taumelte er volltrunken in Richtung Bühne, direkt gegen den Lautsprecherturm, der sofort anfing, mörderisch zu wackeln. Um ein Haar wäre es passiert, dass die Boxen ins Publikum gefallen wären, so wie damals beim Rammstein-Konzert in Dresden, wo ein ähnlich großer Turm ins Publikum kippte und fünf Menschen tötete. Gott sei Dank konnten wir Schlimmeres verhindern und keiner nahm Schaden. So warteten wir letztlich bis kurz nach 1.30 Uhr auf unseren Auftritt und spielten als achte Band, obwohl wir anfangs als vierte Band geplant waren. Am Ende verpassten wir unseren Zug von Freital nach Dresden und hatten nicht genug Geld für ein Taxi. Da man ja auch weit nach Mitternacht niemanden mehr anrufen konnte, um sich eventuell abholen zu lassen, hieß es: ,,Laufen, oder irgendwo draußen pennen?" Wir entschieden uns für's Laufen. Fünfzehn Kilometer marschierten wir durch die Dunkelheit. Im Gepäck meine Klampfe, den Gitarrenverstärker und jede Menge Effektgeräte mit hunderten Kabeln. Ich habe mich gefühlt wie ein russischer Kriegsgefangener oder wie ein Heimatloser, der durch die Steppe zieht. Es war kalt, es war nass, die Arme wurden immer schwerer und der Weg schien endlos lang zu sein.
Wesentlich entspannter ging es da bei meiner 20. Geburtstagsfeier zu. Ich mietete mir in Radebeul einen Club und lud zwei Bands und einen DJ aus Dresden ein, der in den Umbaupausen die Leute bei Laune halten sollte. Die erste Band des Abends war "NadaNiente" aus Radebeul, die an diesem Tag, soweit ich weiß, ihren allerersten öffentlichen Auftritt hatte. Die zweite Band hieß "Dingsbums" und kam aus Freital. Die Bands und der DJ haben wirklich einen unglaublich guten Job gemacht und den Saal zum kochen gebracht.
Als meine Band "Kalte Teufel" gegen 22 Uhr als Headliner den Abend beendete, war die Hütte ausverkauft. Unglaublich, wie sich die Veranstaltung, in der Kürze der Zeit, rumgesprochen hatte. Gänsehaut bekam ich, als einige Fans bei unserer Ballade "Wind des Meeres" vor uns auf die Knie gingen und Wunderkerzen anzündeten. Ein Lichtermeer vor der Bühne, welches man absolut nicht in Worte fassen kann. Gibt es eine größere Ehre für einen Musiker, als eine solche Aktion? Ich für meinen Teil war zumindest zutiefst gerührt und vergaß sogar für einen Moment zu spielen.
Besonders freute ich mich, als mir Christian, unser ehemaliger Gitarrenlehrer, über den Weg lief und mir erzählte, dass er nun ganz woanders wohne und über 150 Kilometer gefahren sei, nur um den Auftritt von uns zu sehen und somit sein Versprechen von früher einlösen wollte, irgendwann einmal ein Konzert von uns zu besuchen. Er hatte sich also irgendwie jahrelang auf dem Laufenden gehalten. Unvorstellbar, wenn man bedenkt, dass es zu dieser Zeit kaum Möglichkeiten gab, sich online über diverse Bands oder Events zu informieren, so wie das heute der Fall ist.
Aber ich kann Euch sagen, als Veranstalter einer solchen Party, hat man auch so seine Probleme. Genervt hatte mich an diesem Abend, dass schon zehn Minuten nach Öffnung der Türen der erste Gast die Männertoilette vollgekotzt hatte. Ich war der Mieter des Clubs und musste den Mist eigentlich weg machen, aber ich holte kurzerhand einen Security, der den betrunkenen Gast erst raus schleppte und dann wieder zu mir brachte und sagte: "Der Kollege hier macht draußen Ärger, was hälst Du davon, wenn wir ihn hier mal die Toiletten putzen lassen?" Ich stimmte freudestrahlend zu und so durfte er seinen Auswurf selbst wegmachen und ich mich wieder den Bands auf der Bühne widmen.
Insgesamt feierten wir neun Stunden lang meinen Geburtstag, teilweise mit Leuten, die ich vorher noch nie gesehen hatte. Einige Gäste schliefen gleich im Club und überraschten mich mit einer geputzten Location am nächsten Morgen, als ich zurückkam, um den Schlüssel abzugeben. Vielen Dank an dieser Stelle an alle, die da waren und dazu beigetragen haben, dass es für mich ein hammergeiler und unvergesslicher Abend wurde.
Doch nach all diesen Konzerten wurde es 2009 plötzlich still um unser Quartett. Keine Auftritte mehr. Nach außen dachte man wahrscheinlich schon, dass es die Band "Kalte Teufel" gar nicht mehr gab.
Doch im Proberaum wurde sehr intensiv gearbeitet. Wir nahmen unseren neuen Song "Ritter und Rocker" im Tonstudio auf und plötzlich kippte die Stimmung innerhalb der Band. Wie sehr wir es auch versuchten, musikalisch auf einen gemeinsamen Nenner zu kommen, wir schafften es einfach nicht. Die Aufnahme verlief im Sand und Diskussionen über die wichtigen Entscheidungen innerhalb der Band, vor allem über den Alkoholkonsum, verlangten neue und klare Regeln. Wir führten mehrere Krisensitzungen und einigten uns dann auf weniger Alkoholkonsum und mehr Demokratie in der Band. Die Mehrheit sollte also fortan entscheiden, was musikalisch umgesetzt wird und was nicht.
Nach einer kurzen Besserung dieser Probleme, dauerte es nicht lang und es kam eine Zeit, in der wir unsere Musiker fast wöchentlich wechselten. Ich versuche hier mal kurz anzuschneiden, was sich abspielte und hoffe, dass man dem ganzen Durcheinander trotzdem folgen kann:
Bei einem der letzten Konzerte stellte sich Haribo bei uns vor. Haribo war kein Gummibär aus Bonn, sondern ein Sologitarrist, bei dem sich aber schon nach vier gemeinsamen Proben herausstellte, dass er mit unserer gerade beschlossenen Demokratie nicht einverstanden war. Eigentlich ein Grund, ihn sofort wieder rauszuschmeißen. Warum wir es damals nicht taten, ist mir aus heutiger Sicht schleierhaft.
Haribo wollte fertige Songs so umsetzen, wie er sie schrieb und mit in den Proberaum brachte. Das lehnten wir aber ausnahmslos und strikt ab, denn jedes Bandmitglied wollte sich an der Entstehung unserer Songs beteiligen. Das Ganze artete dann in einem unglaublichen Streit aus. Carsten, unser Bassist, verließ an einem solchen Abend die Band und ließ nie wieder etwas von sich hören. Viele Jahre später traf ich ihn nochmal bei einem Konzertbesuch in Dresden, wo wir manche Dinge, die wir in der gemeinsamen Bandzeit nicht klären konnten, nochmal besprachen. Ich versuchte ihn zurück in die Band zu holen, aber für ihn gab es kein Zurück.
Kurz nach dem Ausstieg von Carsten stieg auch Robert alias Hamster, unser Schlagzeuger, aus der Band aus. Auch er hatte sich mit Haribo zerstritten und verlor die Lust dabei zu bleiben. Zu ihm brach der Kontakt gänzlich ab, was ich damals sehr bedauerlich fand, denn er war menschlich absolut okay und ich fragte mich später oft, ob er vielleicht in einer neuen Band Fuß fassen konnte.
Für Robert kam später Uwe ans Schlagzeug.
Uwe kannten wir schon länger aus dem Jugendclub, in dem wir immer abhingen und somit waren Kalle, Haribo und ich wenigstens wieder eine Band. Doch es dauerte nicht lange, bis Kalle sich ebenfalls mit dem Sologitarristen zerstritt und Haribo schließlich die Band verließ.
Nun waren wir also wieder zu dritt: Kalle am Mikrofon, Uwe am Schlagzeug und ich an der Gitarre. Wir spielten verzweifelt unsere Songs und irgendwie wurde uns klar, dass wir bald wieder auftreten mussten, um nicht komplett zu chronischen Kellermusikern zu mutieren. Es war öde, immer die gleichen Songs im Proberaum zu spielen, wo sie keiner hört. Ich hatte zwar versucht, neue Songs zu kreieren, aber eine totale Blockade im Kopf machte mir einen Strich durch die Rechnung. Zwischendurch kamen mal ein paar Freunde im Proberaum vorbei und versuchten sich irgendwie mit einzubinden, aber meist ohne Erfolg. Wenigstens sorgten diese Freunde ab und zu für etwas stimmungsvolle Abwechslung bei den Bandproben.
Eines Tages stand dann Boni im Türrahmen des Proberaums. Er musste den Kopf einziehen, weil er so ein Riese war, dass selbst die relativ hohen Kellerwände zu klein für ihn waren. Boni konnte aus meiner Sicht wesentlich filigraner Gitarre spielen als Haribo. Er zauberte ein unglaublich melancholisch-sehnsüchtiges Intro zu unserem Song "Pädophil", während ich die begleitenden Riffs spielte. Endlich machte es wieder Spaß zur Probe zu kommen und die bestehenden Lieder zu neuem Leben zu erwecken.
Boni war es letztlich auch, der wieder einen neuen Bassisten mit in die Band brachte. Sein Name war Krocki und er war ein Freak, wie er im Buche stand. Es kam schon ab und zu mal vor, dass Krocki die Teilnahme an den Bandproben wegen Unterhopfung oder einem Badewannenbesuch kurzfristig absagte. Diese Unzuverlässigkeit führte später dazu, dass er nach nur kurzer Mitgliedschaft die Band wieder verlassen musste.
Boni, Kalle, Uwe und ich erarbeiteten uns währenddessen neues Live-Material, welches wir dann wieder auf den Brettern der Welt aufführen wollten. Doch auch dazu kam es nicht, denn diesmal hatten Uwe und Boni gemeinsame Sache gemacht. Sie gründeten heimlich eine neue Band und baten uns, zu akzeptieren, dass sie nicht mehr bei uns mitspielen wollten.
In einem Gespräch teilten sie uns mit, dass sie gemerkt hätten, dass Punkrock nicht ihrem Ideal entsprach und sie sich lieber dem Metal widmen wollten. Diese Nachricht erschütterte Kalle und mich zutiefst. Ich würde auch sagen, dass das der bisher schlimmste Tiefschlag meines Musikerlebens war. Wir hätten damals bestimmt mit allem gerechnet, aber niemals damit, dass Uwe und Boni kurz vor den ersten gemeinsamen Konzerten aus der Band aussteigen würden.
Gemeinsam mit Boni entwickelte ich vor seinem Ausstieg aus unserer Band über 30 Demo-Songs, die jahrelang unberührt bei mir Zuhause vor sich hin schlummerten. Zu meinem 15-jährigen Jubiläum als Musiker sind mir diese Aufnahmen dann wieder in die Hände gefallen und ich habe beschlossen, die schönsten Songs, so wie sie sind, mit anderen Demoversionen als Album zu veröffentlichen. Die CD erschien 2019 unter meinem Namen mit dem Titel "Melodien auf Umwegen" im Eigenvertrieb.
Nachdem Boni und Uwe uns verlassen hatten, standen Kalle und ich wieder allein da. Wir fühlten uns wie in die Anfangszeit zurückversetzt. Binnen kürzester Zeit, hatten wir sechs Musiker kennengelernt und direkt wieder verloren. Sowas schmerzt, denn neben der Tatsache, dass dies wirklich eine absolut grausame Bilanz für eine Band ist, gehen auch zwischenmenschliche Beziehungen kaputt. Jeder Verlust schmerzte und jedes Mal glaubte ich, meine Songs verloren zu haben, die ich so gern spielte. Meine Lieder waren immer wie meine Kinder und es fühlte sich an, als müsse man sie irgendwo im Nichts zurücklassen.
Doch immer wenn es am dunkelsten ist, gibt es irgendwo ein kleines Licht, nach dem man greifen kann.
In einem Internetforum für Musiker und Bands las ich einen Beitrag von Kunki. Er war aus der Nähe von Berlin nach Dresden gezogen, um hier zu studieren. Er schrieb, dass er eine Band suche, in der er neue Erfahrungen sammeln könne. Ich lud ihn sofort in unseren Proberaum ein. Nach einem kurzen Kennenlerngespräch, bei dem wir ihm sofort ehrlich offenbarten, wie es um unsere Band stand, versuchten wir gemeinsam zu musizieren. Es klappte auf Anhieb und wir hatten in kürzester Zeit wieder jede Menge Songs für die Bühne. Auch mir kamen nun endlich wieder neue Songideen, die wir auch direkt umsetzten. Wir produzierten eine CD mit 5 Songs, die wir für Promotionzwecke verwendeten und siehe da: Plötzlich interessierten sich auch wieder Veranstalter und Internetradios für unsere Musik.
Um nicht in irgendeiner Art und Weise vorbelastet in Erscheinung zu treten, gaben wir uns den neuen Bandnamen "Diabolic-Rider" und wagten einen kompletten Neubeginn. Und wie es der Zufall damals wollte, meldete sich kurz darauf auch eine Bassistin namens Jessi bei mir.
Jessi stand nicht nur total auf Punkrock, sondern vor allem auf mich, den Gitarristen der Band "Diabolic-Rider". Schon während der ersten gemeinsamen Bandprobe war das nicht zu übersehen und Kalle sagte in einer ruhigen Minute zu mir: "Hey, die Kleine steht auf Dich, und nachdem Dich Deine Exfreundin mit einem anderen Typen betrogen hat, kannst Du Dich ruhig auch mal wieder auf was Neues einlassen." Es dauerte nicht lang und ich ging tatsächlich mit zu ihr nach Hause. Jessi und ich wurden ein Paar und hielten es sogar mehrere Monate miteinander aus. Ja, ich wohnte sogar mit Unterbrechungen einige Wochen mit ihr in Heidenau. Erst hielten wir es vor Kunki geheim, weil Liebesbeziehungen innerhalb der Band für ihn ein absolutes Tabu waren. Später weihten wir ihn dann aber doch ein und sagten: "Nur solange die Band nicht darunter leidet, ansonsten muss einer von uns die Gruppe verlassen."
Ihr fragt euch, warum eine Liebesbeziehung für Kunki ein Tabu war? Die Frage kann ich Euch nun auch aus eigener Erfahrung beantworten:
Ein knappes halbes Jahr ging es gut, danach zickten Jessi und ich uns pausenlos an, egal ob wir bei ihr Zuhause oder im Proberaum waren. Es war unmöglich, so weiter gemeinsam Musik zu machen und ich musste mich entscheiden: Die gescheiterte Beziehung zu Jessi retten und die Band, die ich gegründet hatte, verlassen? Oder Jessi verlassen und die eigene Musik retten? Ich habe mich damals für die Band und gegen Jessi entschieden, was sie mir sehr krumm genommen hat. Ja, es gab nach der Trennung durchaus sehr krasse Differenzen zwischen uns, aber Schwamm' drüber.
Schon kurze Zeit später freute sich die Band, also Kalle, Kunki und ich, auf viele geile Konzerte in Sachsen und Brandenburg. Mir sollten die Auftritte mit der Band über die Trennung von Jessi hinweg helfen. Einige Termine standen fest, doch irgendwie hing schon bald wieder der Haussegen schief. Kunki rief mich eines Tages an und wollte sich mit mir alleine treffen. Es gäbe wichtige Dinge zu besprechen, meinte er.
Als wir uns ein paar Tage später im Dresdner Hauptbahnhof trafen, sagte er mir, dass es aus seiner Sicht besser wäre, die Band zu verlassen. Er fühle sich nicht wohl mit dem Neuanfang und den Songs, die wir machten. Er hätte sich das lange überlegt und es gäbe kein Zurück für ihn. Ich redete auf ihn ein und versuchte irgendwie seinen Ausstieg zu verhindern, weil ich ihn als Musiker, aber vor allem als Menschen, sehr schätzte. Es half nichts. Sein Ausstieg war beschlossene Sache. Kunki verließ die Bahnhofshalle und ich saß noch zirka eine halbe Stunde dort und heulte mir die Seele aus dem Leib. Wieder schien mein Traum einer erfolgreichen Band zu platzen.
Kalle und ich waren wieder allein und für mich wurde klar, so kann und so wird es nicht weitergehen können. Ich entschied mich schweren Herzens dafür, mit Kalle über eine Bandauflösung zu sprechen und fuhr noch am gleichen Tag zu ihm. Wir redeten viele Stunden und beendeten die Ära Punkband im März 2010.
Natürlich stelle ich mir auch heute noch die Frage, ob es damals die richtige Entscheidung war, die Band aufzugeben. 2012 und 2014 dachten wir sogar über ein Comeback nach. Wir wollten die Band nochmal aufleben lassen und von vorn beginnen. Diese Idee verlief aber schnell im Sand, da ich zu dieser Zeit schon eine neue Band gegründet hatte und Kalle als Vorsitzender seines eigenen Vereins auch bis zum Hals in Arbeit steckte. Vielleicht kommt es irgendwann mal dazu, dass Kalle und ich nochmal einen gemeinsamen Song machen, wer weiß - aber die Punkband wird sicherlich kein Comeback mehr feiern. Natürlich besteht der Kontakt zu Kalle auch weiterhin. Ab und zu sehen wir uns, trinken mal ein Bier und reden über alte Zeiten.
Noch etwas, wofür ich Kalle sehr dankbar war:
Ihr könnt Euch sicher nicht vorstellen, was es für ein Luxus ist, vollgepackt mit Gitarre, Verstärkern und Merchandise, nicht auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen zu sein. Nicht zuletzt, weil ja bei den meisten Verkehrsgesellschaften die Unpünktlichkeit groß geschrieben wird. Kalle hatte dieses Problem erkannt und bot mir sofort nach der Bandauflösung an, ab und zu als Fahrer für meine neuen Projekte zur Verfügung zu stehen. Auch als Techniker und Retter in der Not hat er sich oft bewiesen.
Ich erinnere mich zum Beispiel, dass er 2008, als unser Bandproberaum aufgrund eines Rohrbruchs unter Wasser stand, sofort vor Ort war und eigenhändig alles vor dem Totalschaden rettete. Ich selbst feierte an diesem Tag meinen 21. Geburtstag bei meiner Oma und hatte nichts von alledem mitbekommen. Erst als der grobe Schaden behoben und die Technik gerettet war, rief er mich an und holte mich ab, um mit mir die restlichen Schäden anzuschauen. Die Gesangsanlage hatte es erwischt, sie war restlos hinüber. Auch hier ließ Kalle seine Kontakte spielen und schon am nächsten Tag war eine neue Anlage da. Auch meine gelbe E-Gitarre, auf der ich heute noch spiele, lag eine Nacht lang, zehn Zentimeter unter Wasser, hat es aber überlebt. Das habe ich Kalle zu verdanken, der sich anschließend wirklich rührend um sie gekümmert hatte.
Zu den anderen Bandkollegen Robert, Carsten, Uwe, Haribo, Boni, Krocki und Jessi habe ich seit vielen Jahren keinen Kontakt mehr. Auch unseren Gitarrencoach Christian habe ich seit dem Konzert zu meinem 20. Geburtstag leider nicht mehr gesehen. Vielleicht liest er ja irgendwann durch einen Zufall dieses Buch und meldet sich bei mir. Darüber würde ich mich sehr freuen.
v.l.n.r.: Haribo, Micha, Hamster, Kalle
v.l.n.r.: Kunki, Krocki, Kalle, Micha
Ausgebrannt
Habe mir selbst eine Geschichte erzählt
gefangen in meiner zerbrochenen Welt
Egal was ich sagte, es klang müd' und leer
Ich merkte schnell, ich kann nicht mehr
Ich schrieb einen Song und spielte dazu
Es tat mir so weh, doch ich kam zur Ruh'
Ich versank in der Story als wär' es ein Traum
gab mir selbst den notwendigen Raum
Ich sang vom Job, wo nichts mehr lief
Alles ging mir seit langem schief
Ich sang von der Frau, von der ich mich trennte
Die Geschichte hatte scheinbar kein Ende
Doch als mein Song dann fertig war
sah ich meine Welt plötzlich offen und klar
Ich schrieb mir sofort ein ganz anderes Lied
das mich befreit - neue Kraft mir gibt
Musik ist meine Meditation
frei von Zweifel und Depression
Ich leb' mein Leben nochmal von vorn
Meine Gedanken sind wie neu geboren
LESUNGEN MIT MUSIK
Liebe, Zorn & Sinnlichkeit
Als das Ende meiner ersten Band "Diabolic-Rider" nach nur sechs Jahren und stundenlangen Gesprächen und Diskussionen beschlossene Sache war, versuchte ich, anfangs für mich selbst Musik zu machen. Ich schrieb neue Texte und Melodien. Ich versuchte mich an Songs von den Puhdys und den Böhsen Onkelz, um meine Fähigkeiten auf der Gitarre weiter auszubauen und meine Musiksucht irgendwie weiter auszuleben. Ich merkte aber schnell, wie mir die Decke von Tag zu Tag mehr auf den Kopf fiel. Mir fehlten die Auftritte, die Bühnen und die Kollegen. Ich wusste, dass ich etwas brauchte, bei dem ich mich wieder künstlerisch betätigen konnte. Ich hätte mich sicher bei einer anderen Band irgendwie einbringen können, aber fand nicht so wirklich etwas, was mich auf Anhieb interessierte oder begeisterte.
Eines Tages saß ich mit meiner Mutter im Auto und wir kamen ins Gespräch. Sie sagte, dass sie gern ihre Gedichte einem breiten Publikum präsentieren würde. Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen und ich sagte: "Lass uns doch Lesungen mit deinen Gedichten veranstalten und ich untermale sie mit meiner Musik." Sie war sofort angetan von der Idee und so bastelten wir mit zwei ihrer Freundinnen ein anderthalbstündiges Programm zusammen.
Es waren sehr romantische Kurzgeschichten und Gedichte von den drei Frauen, deren Texte mich auch musikalisch sehr inspirierten. Der Titel unseres frisch geborenen Programms lautete "Liebe, Zorn & Sinnlichkeit".
Es dauerte nicht lang und die erste gemeinsame Veranstaltung stand ins Haus. Sie fand im Mai 2012 im "Sappho" in Dresden statt. Das "Sappho" war ein kleines Café, mitten in der Dresdner Neustadt, wo wir im Keller einen kleinen Raum bekamen. Dort passten zirka zwanzig Leute rein. Als die Veranstaltung begann, war der Raum allerdings schon mehr als überfüllt. Die Betreiber des Lokals schätzten die Zuschauerzahl auf rund sechzig Personen. Die Leute standen vor dem Raum und sogar auf der Kellertreppe, um unserem Programm zu lauschen.
Zum Einklang spielte ich das Intro auf dem Keyboard, welches unsere Punkband immer verwendete, bevor es auf die Bühne ging. Im Laufe des Abends hörte man von mir dann einige neue Kompositionen, die ich instrumental auf der Gitarre vorstellte.
Im Anschluss bemängelten einige der Zuhörer allerdings, dass es nichts gab, was sie sich als bleibende Erinnerung mit nach Hause nehmen konnten. Diesen Gedanken nahmen wir gerne mit und überlegten uns, was wir machen könnten, um bei der nächsten Veranstaltung vielleicht etwas anbieten zu können. Die Idee war, ein Buch mit einigen Gedichten zusammenzustellen, welches wir dann verkaufen wollten. Leider war die Zeit zur nächsten Veranstaltung sehr knapp, sodass wir den Gedanken erst einmal nicht praktisch umsetzen konnten. Meine Mutter hatte zwei Jahre später aber die Zeit gefunden, ihre Lieblingsgedichte in einem Gedichtband unter dem Titel "Wilder Mohn" zusammenzustellen und verschenkte das Büchlein an ihre Bekannten.
Die zweite Veranstaltung aus der Reihe "Liebe, Zorn & Sinnlichkeit" fand im September 2013 in der Stadtbibliothek Heidenau statt. Dort ließen wir dann eine Kamera mitlaufen, die die komplette Veranstaltung filmte. Hier kamen rund achtzig Zuschauer und die Bibliothek im Herzen der Stadt, war bis auf den letzten Sitzplatz voll. Als Dankeschön für das ausverkaufte Haus und die tolle Unterhaltung, erhielten wir von der Geschäftsleitung Blumen und rührende Dankesworte. Für mich persönlich war dieser Abend, trotz Lob vom Publikum, allerdings einer der schlechtesten Auftritte in meinem Leben.
Ich hatte zwar bei den Proben und darüber hinaus unzählige Male meine Parts geübt, kämpfte aber an diesem Abend sehr mit technischen Problemen und mit meinem Lampenfieber. Ich verspielte mich oft und wurde immer nervöser. Mir war es zuvor noch nie passiert, dass ich während eines Auftrittes so zitterte und meine Hände sich zeitweise wie gelähmt anfühlten. Die Harmonien auf der Gitarre zu greifen, fiel mir an diesem Abend so schwer, dass ich mich immer und immer wieder verspielte. Gott sei Dank war es bisher der einzige Abend in meinem Leben, an dem so viel schief ging. Alle anderen Auftritte meisterte ich bisher immer recht fehlerfrei. Schade nur, dass nun den ganzen Abend die Kamera mitlief und das Dilemma aufzeichnete.
Zu Hause sah ich mir das Video an und mir ging es nicht besonders gut dabei. Die drei Frauen planten dennoch, eine DVD mit Ausschnitten der Veranstaltung zusammenzustellen und es mit zusätzlichen Interviews zu ergänzen. Sie baten mich, diese DVD zu gestalten. Also setzte ich mich hin, schnippelte mehrere Tage an dem Filmmaterial herum, bis es für alle Beteiligten zufriedenstellend war. Danach ging ich zu meinem alten Kumpel Marian, der auch schon für die Punkband alle Aufgaben erledigte, wenn es um Tontechnik ging. Dort wurde dann der DVD-Ton noch etwas verfeinert und die Live-Mitschnitte und Interviews in ein Menü gepackt. Die komplette Gestaltung der DVD dauerte einige Wochen, aber das Endprodukt konnte sich wirklich sehen lassen.
Vor ewigen Zeiten hatten Marian und ich schon einmal eine DVD für die Punkband "Kalte Teufel" erstellt. Darauf sah man Ausschnitte von unserer kleinen Tour im Jahre 2007. Diese wurde aber dann nie zum Verkauf angeboten. Umso stolzer war ich nun, dass die DVD zum Projekt "Liebe, Zorn & Sinnlichkeit" fertig war und auch in zufriedenstellenden Stückzahlen verkauft wurde. Allerdings wurde das Literaturprojekt 2014, aufgrund anderer Projekte meiner Mutter, vorerst auf Eis gelegt. Ich habe aber bis heute nicht aufgegeben, meine Mutter davon zu überzeugen, diese Veranstaltungsreihe fortzuführen. Vielleicht gelingt es mir, sie irgendwann zu überreden.
Ich schreibe mein Leben
2014 veröffentlichte meine Mutter mit fünf anderen Frauen ein weiteres Buch mit dem Titel "Ich schreibe mein Leben - Kriegsfolgen im Frieden". Darin erzählen sechs Autorinnen auf über 300 Seiten ihre Familiengeschichten, von den zwei Weltkriegen, über die DDR-Zeit und die Wende bis in die Gegenwart hinein. Sie verfolgen Spuren, stellen Fragen und finden Antworten, für sich und ihre Töchter und Söhne. Dieses sehr interessante Buch kann, dank des Biographieverlages, mittlerweile sogar in jedem Buchhandel bestellt werden.
Das Kapitel meiner Mutter in diesem Buch ist wie ein Brief an ihren verstorbenen Vater aufgebaut, in dem sie ihm die Fragen stellt, die sie zu Lebzeiten meines Opas nie stellen konnte. Absolut lesenswert und seit geraumer Zeit auch einen Besuch von Leseveranstaltungen wert, an denen sich oft auch meine neue Band "Ostrea" musikalisch beteiligte. 2014 spielten wir beispielsweise in Krögis bei Meißen und Reinhardtsgrimma bei Tharandt ein akustisches Live-Set, gemixt aus eigenen und gecoverten Songs.
Der Erfolg dieses Buches ist sensationell und soweit ich weiß, wurden Teile davon für Konferenzen in den USA, die das umfangreiche Thema behandeln, bereits in die englische Sprache übersetzt, damit das Buch noch mehr Leute, auch außerhalb Deutschlands, erreichen kann.
Bei den Lesungen merkte ich oft, wie vielen Menschen die Nachkriegszeit und auch das DDR-Regime noch tief in den Knochen steckt. In vielen Familien ist es immer noch ein Tabuthema, warum auch immer?! Es ist doch wichtig miteinander zu reden und zuzuhören, um den Anderen zu verstehen! Ich denke, dass sehr viele Menschen jahrelang mit ihren Gedanken und Ängsten nicht umgehen konnten, weil sie sich nicht getraut haben, es auszusprechen. Das Buch "Ich schreibe mein Leben - Kriegsfolgen im Frieden" bricht dieses Eis und ist aus diesem Grund für mich ein Buch, was in keinem Haushalt fehlen dürfte!
Also, liebe Mutti, ich hoffe sehr, dass ich noch viele Male ein Teil Deiner Lesungen sein darf! Für mich persönlich sind solche Projekte immer spannend, denn ich stehe vor Leuten, die nicht wegen mir oder meiner Band, sondern wegen meiner Mutter und den anderen Autorinnen zu den Veranstaltungen kommen. Es ist wie eine Prüfung für mich, ob ich die richtige Songauswahl zu den Geschichten getroffen habe. Natürlich sind solche Events, nebenher erwähnt, auch unglaublich gute Werbung für meine anderen Projekte. Bisher kam die Mischung aus gecoverten und eigenen Songs immer sehr gut beim Publikum an, obwohl eine Tendenz zu verzeichnen war, dass viele Zuschauer eher die eigenen Texte und Kompositionen mochten, was mich natürlich umso stolzer macht.
Egal wie, oder mit welchen Projekten es weitergeht. Für mich steht fest, wenn meine Mutter mich fragt, ob ich mich an irgendetwas musikalisch beteiligen möchte - ich bin immer gern dabei.
Hinter den Städten
Hinter den Städten liegt mein Land
es treibt keine Perlen an den Strand
sie sind versunken tief im Meer
Das Ufer treibt über den Sand so leer
Hinter den Augen liegt mein Wort
im Herzen mein Heimatort
Schätze die mir allein gehören
kein Wind, kein Sturm kann sie zerstören
Ich bin ein Perlenfischer, schau weit hinaus
Werfe im Schatten die Netze aus
Ich bin ein Perlenfischer, trete ins Licht
bis mein Lied alle Schatten bricht
Hinter den Städten liegt mein Land
Ich halte eine Perle in der Hand
Ich singe mein Lied und schenke es Dir
Das sind die Perlen tief in mir
PERLENFISCHER & OSTREA
Meine zweite Band
Im September 2010 gründete ich meine zweite eigene Band, um meine neuen Songs wieder einem Publikum präsentieren zu können.
Zusammen mit Peter Herold als Sänger und Mann an der Mundharmonika schaffte ich es schnell, ein zweistündiges Bühnenprogramm zusammenzustellen, aus eigenen Lieder in deutscher Sprache und Coverversionen von diversen Ostrockbands.
Später begleitete uns Heinrich "Ansgar" Brinkmann am Schlagzeug und wir erweiterten nochmals unser Songrepertoire. Wir spielten englische Coversongs von Uriah Heep, The Cranberries, Smokie und CCR und probierten uns fortan auch an Titeln von den Böhsen Onkels, BAP, den Prinzen, Broilers, oder Westernhagen. Das Spektrum war also weit gefächert und bescherte uns zahlreiche Auftritte mit stetig wachsendem Publikum.
Als Ansgar gesundheitliche Probleme bekam, mussten wir uns neu aufstellen. Für Ansgar kam der junge Thomas Linde ans Schlagzeug, der vor allem die Coverversionen der Puhdys voller Begeisterung trommelte, weil er selbst ein Puhdysfan war, genau wie Peter und ich. Als Bassist engagierten wir Mario Scheller und auch eine neue Sängerin fanden wir recht schnell: Isabel Guller überzeugte uns von der ersten Probe an mit ihrer außergewöhnlichen Rockstimme und hauchte unseren Songs ein völlig neues Leben ein.
In der Zeit von 2010 bis 2021 fanden 72 Auftritte statt und es entstanden 24 eigene Songs auf insgesamt 3 Studioalben, die wir im Eigenvertrieb der Band unter die Leute brachten: "Hinter den Städten" (2013), "Phonzahl bringt Stimmung" (2015) und das Doppelalbum "Zehn Jahre" (2020), welches ein Mix aus Studio- und Livealbum darstellte.
Die Band half mir sehr dabei, meine Probleme bewältigen zu können und mit der Musik zu verarbeiten. Dafür bin ich meinen Bandkollegen auf ewig dankbar! Ich habe eine Burnout-Erkrankung mit der Musik genauso gut überstanden, wie den Verlust meines Vaters und die Probleme mit meinem Bruder. Wer genau die Songtexte unserer Band liest, wird viel von diesen Problemen heraus lesen können.
Als ich 2019 das erste Mal Vater wurde, gab es eine Babypause innerhalb der Band. Es war mir wichtig, dass ich mich am Anfang voll und ganz auf meinen Nachwuchs konzentrieren und meine Freundin bestmöglich unterstützen kann. Wie es der Zufall wollte, wurde in dieser Auszeit für die Band auch unsere Sängerin schwanger und die Babypause wurde nochmals um ein halbes Jahr verlängert.
2020 planten wir unser Jubiläum zum 10-jährigen Bandbestehen. Es sollte ein großes Jubiläumskonzert mit Gästen und allen ehemaligen Bandmitgliedern geben. Leider wurde daraus auch nichts, da uns die Corona-Pandemie einen Strich durch die Rechnung machte.
Es fiel uns schwer in Worte zu fassen, was wir im Herbst 2021 über unsere Homepage mitteilen mussten und es kullerten die Tränen beim Gedanken daran, dass wir unseren Fans wahrscheinlich in dieser Konstellation, nie wieder begegnen werden. Und doch waren wir ihnen eine Erklärung schuldig, warum es die letzten Monate so ruhig um OSTREA war und wir sämtliche Auftritte absagen mussten.
Es war an der Zeit, den Tatsachen in die Augen zu schauen, auch wenn es bis heute schmerzt und uns die Entscheidung damals wirklich alles andere als leicht gefallen ist.
Nach 11 Jahren Bandgeschichte und fast zwei Jahren Zwangspause haben wir für uns einen endgültigen Entschluss gefasst: Wir werden die Ära OSTREA zum Jahresende 2021 beenden.
Der Entschluss die Band aufzulösen schien uns, nach langer Überlegung und den zahlreichen Schwierigkeiten der letzten Monate, das einzig Richtige zu sein. Hand auf's Herz: Der letzte OSTREA-Auftritt lag knapp zwei Jahre zurück und durch die Corona-Pandemie war uns auch lange das Proben und Arbeiten an neuen Songs verboten. Jeder von uns hatte sein eigenes Päckchen zu tragen und seine eigenen Problemchen zu lösen, sei es privat oder beruflich. Wir alle mussten in diesen Monaten der Pandemie viel einstecken, aushalten und vor allem einen Weg für uns finden, unser Zeitmanagement völlig neu zu organisieren. Nicht zuletzt forderten auch unsere heranwachsenden Kinder mehr und mehr die vollste Aufmerksamkeit ihrer Eltern, was auch richtig und wichtig war und irgendwie auch vorhersehbar war. Diese Tatsachen ließen unsere Band im Laufe der Zeit allerdings mehr und mehr in den Hintergrund rücken. Es stand schon länger die Frage im Raum, wie lange wir unsere privaten Angelegenheiten und die Termine der Band noch unter einen Hut bekommen könnten.
Hinzu kam, dass durch diese lange Zeit, in der wir keine Auftritte spielen konnten, sich auch unsere Motivation und Lust reduzierte, an neuen Songs zu arbeiten und so zog schon bald Stille in den sonst so lauten Proberaum. Über ein Jahr haben wir versucht, uns zu einer gemeinsamen Probe zu treffen und nie hat es geklappt, alle Musiker zu einem Zeitpunkt unter ein Dach zu bekommen. Die Band musste quasi monatelang hinten anstehen und hat darunter stark gelitten. Die vielen Songs und Instrumente nehmen es uns wahrscheinlich auf ewig krumm, dass sie nun wohl nie wieder ge- und bespielt werden. Aber warum sollten wir krampfhaft etwas am Leben erhalten, was eigentlich längst verloren war?! Wir dachten uns, es sei besser freundschaftlich auseinander zu gehen, als es auszureizen und uns irgendwann im völligen Streit zu trennen.
Was uns allen bleibt sind tausende Erinnerungen, hunderte Songs und Tonaufnahmen, bewegte und unbewegte Bilder, Geschichten aus dem Leben und neu gewonnene Freundschaften. Das alles ist und bleibt ein Teil von uns - ein Teil von unserem Leben! Dinge, für die wir unendlich dankbar sind, die wir nie vergessen werden und die wir alle für immer in unserem Herzen mit uns tragen werden. Und es bleibt eine innige und tiefe Freundschaft zwischen uns Musikern! Denn auch wenn man es uns nicht glaubt: In den 11 Jahren OSTREA gab es nie einen ernstzunehmenden Streit innerhalb der Band, weil wir immer offen und ehrlich zu uns selbst waren und bis zuletzt über alles reden konnten. Wir waren immer ein eingespieltes Team - menschlich, wie auch musikalisch!
Fest steht unweigerlich, dass OSTREA aus vier jungen Musikern bestand, die seit September 2010, sowohl mit eigenen Liedern, als auch mit deutschen und englischen Coversongs ihr Publikum begeisterten. Wer die Gruppe live erlebt hat, erkannte wahrscheinlich schnell die Leidenschaft dieser Vollblutmusiker, die mit ihrer Band einen ganz persönlichen Traum verwirklichten. Wir konnten mit dieser Musik für ein paar Minuten aus dem Alltag flüchten, erlebte Ereignisse mit eingängiger Musik und tiefgründigen Texten verarbeiten und sind uns dabei immer treu geblieben, ohne uns selbst zu ernst zu nehmen. Wir waren jederzeit für einen Spaß bereit und hatten unendlich viel Spaß zusammen! Nicht umsonst heißt es in einem unserer Songs: "Was nahmst Du mit, von meinem letzten Wort", denn wir hatten immer die Hoffnung, dass sich die Fans aus unseren Liedern etwas mitnehmen und gewinnen konnten - mental, gedanklich und wegbegleitend. Wir für unseren Teil konnten das immer und es macht uns stolz und glücklich, was wir gemeinsam erreicht und erlebt haben und das wird uns auch nach dem Ende unserer Band immer im Gedächtnis bleiben und freundschaftlich verbinden.
Derzeit arbeite ich an einer OSTREA-Bandbiographie. Ein Buch, in der alle Konzertberichte, Tourdaten, Songtexte, Fakten, Anekdoten, Erfolge, Misserfolge, Höhen und Tiefen und vieles mehr für die Ewigkeit festgehalten werden sollen. Ich hoffe, dass ich das Buch in Kürze veröffentlichen kann.
ERSTE SOLISTISCHE ERFOLGE
Kommen & Gehen
Aber auch solistisch soll es jetzt, nach dem Ende meiner zweite Band losgehen. Mit meinem Buch "Kommen & Gehen" und auch mit der künftigen Bandbiographie werde ich versuchen, eigene Lesungen mit Musik auf die Beine zu stellen.
Als Veranstaltungsorte wähle ich dabei wahrscheinlich vorzugsweise Schulen, um möglichst vielen Kindern von meiner Jugendzeit zu erzählen, die fernab von Smartphones und Fernsehen stattfand. Ich will ihnen mit meinen Büchern einen Weg aufzeigen, wie man mit etwas Kreativität und starkem Willen, schon in frühen Jahren kleine Erfolge feiern kann. Wie man aus den täglichen Problemen eine Leidenschaft entwickeln kann. Allemal besser, als unter Alkohol- und Drogeneinfluss im Stadtpark abzuhängen und aus Langeweile irgendwelchen Blödsinn anzustellen. Mein Ziel ist es dabei, dass die Schüler und Eltern gespannt zuhören und sich mit mir nach jeder Lesung über ihre und meine Jugendzeit austauschen.
Es ist, denke ich, ungeheuer wichtig mit der Jugend ins gemeinsame Gespräch zu gehen, um das Verhalten jeder Generation zu verstehen und damit umgehen zu können. Gerade in der heutigen Zeit, wo so gut wie keine öffentlichen Gelder mehr in Jugendeinrichtungen oder sonstige Freizeitaktivitäten für Jugendliche fließen und die Kinder quasi zum Mist bauen gezwungen werden.
Somit kann ich dann vielleicht mit meinen zwei Büchern etwas erreichen - und wenn es einfach nur ein kleiner Motivationsschub für die Jugendlichen ist, sich etwas zuzutrauen und vielleicht doch lieber mal eine Gitarre in die Hand zu nehmen, statt stundenlang vor dem PC oder der Playstation zu hocken. Das zumindest ist meine Hoffnung - mein Plan für die nächste Zeit, den ich nun beginnen werde, umzusetzen.
Einblicke
Ein weiteres Buch von mir trägt den Titel "Einblicke - 100 Songtexte und Gedichte" und erschien bereits im Jahr 2020. Auf zirka 160 Seiten findet man darin alle Texte, die ich bis dato geschrieben hatte. Manche von ihnen laden zum träumen ein, andere zum nachdenken. Ich denke, dass jeder Leser und jede Leserin die Texte auf ganz eigene Art und Weise verstehen und interpretieren wird - und das ist auch gut so, denn nur so kann Kunst ihre ganze Kraft entfalten.
Für mich persönlich war es wichtig eine Sammlung sämtlicher Texte von mir in einem Buch zusammenzufassen. Damit ich immer, wenn ich die Lust verspüre, wieder darin nachlesen und mich erinnern kann, wann welcher Text, in welchem Zusammenhang entstanden ist. Da viele Texte autobiographisch sind, kann ich damit auch gut meine Vergangenheit aufarbeiten.
Melodien auf Umwegen
MISTER EL PRESIDENTE
Lieder für Generationen
Wie gut es solistisch laufen kann und wie kompliziert es ist, wenn man sich als Künstler um fast alle Dinge, die das Marketing oder Management betreffen, selbst kümmern muss, merkte ich aber nicht erst als Autor meines eigenen Buches.
So wie mir geht es sehr vielen Künstlern, zum Beispiel auch einem Mann, der im Osten Deutschlands eine sagenhafte Musikgeschichte schrieb: Ex-Puhdy Dieter "Quaster" Hertrampf - eine Ikone des deutschen Rock'n'Rolls und die Stimme des Puhdys-Hits "Alt wie ein Baum". Seit der Auflösung seiner Band kämpfte er sich allein und unermüdlich durch die gesetzlichen Vorschriften und durch die Bürokratie der Plattenfirmen und Veranstalter.
Wenn ich aber von Quaster zu erzählen beginne, muss ich eine kleine Zeitreise machen - zurück in mein vierzehntes Lebensjahr, als ich noch bei meiner Mutter wohnte, denn dort begann meine Geschichte mit den Puhdys:
Eines Abends kam meine Mutter zu mir ins Zimmer. Diesmal aber nicht, um sich über meine chronische Unordnung aufzuregen, sondern um mich zu fragen, ob ich Lust hätte, mit ihr gemeinsam eine DDR-Kultband live im Konzert zu erleben. Die PUHDYS hatten sich für den 8. September 2001 auf der Festwiese in Radebeul angekündigt.
Ich kannte mich damals mit Ostmusik überhaupt nicht aus und hatte auch wirklich kein Interesse, mir diese Band, auf die meine Mutter in ihren Jugendjahren stand, auch noch einen ganzen Abend anzuhören. Ihr zuliebe sagte ich trotzdem zu, ohne zu wissen, dass dieser Abend mein zukünftiges Leben grundlegend verändern würde.
Am Konzertabend war bestes Wetter. Zirka 800 Menschen warteten vor der großen Bühne auf ihre Stars. Dann, pünktlich um 20 Uhr startete das Konzert: Blaues Licht, dichter Qualm und ein Intro voller Spannung eröffneten das Openairkonzert. Ich stand staunend, mit offenem Mund, in einer der ersten Reihen und war überwältigt von dem, was ich sah. Sowas hatte ich vorher noch nie erlebt! Die alten Herren rockten so dermaßen die Bühne, dass mich sofort das Fieber packte, welches sicher auch die anwesenden Fans schon sehr lange in sich spürten. Das Schlagzeug, der Bass und die E-Gitarren ließen meinen Bauch vibrieren, so laut war das - einfach geil!
Die Songs und deren Texte waren zeitlos und können inhaltlich, theoretisch und auch praktisch niemals an Bedeutung verlieren. So wurden in einem Lied zum Beispiel folgende Zeilen gesungen:
"Wenn wir nachts die Sterne seh'n / wie sie still am Himmel steh'n / scheint sich gar nichts zu bewegen / und doch fliegen wir dahin".
Genau in diesem Moment, als diese Worte über die Gesangsanlage ins Publikum schallten, schaute ich in den sternenklaren Nachthimmel und sah, wie eine Sternschnuppe von links nach rechts über die Bühne flog und schließlich in der Dunkelheit verschwand. Es war wie ein magisches Zeichen für mich, dass mich diese Band in Zukunft noch lange beschäftigen würde, und das tat sie dann auch.
Ein ähnliches Erlebnis hatte ich übrigens auch viele Jahre später bei einem Konzert der Band SILLY. Nachdem Tamara Danz, die Frontfrau der Band, 1996 an Brustkrebs verstarb und die Band zu einer langen Pause und zur Suche nach einem geeigneten Ersatz zwang, trat Silly vierzehn Jahre später erstmals mit neuer Sängerin auf.
Anna Loos, die seither die Stimme der Band war, sagte auf der Bühne sinngemäß, sie könne und wolle den Platz von Tamara nicht ersetzen, aber sie sei sich sicher, dass Tamara von oben alles genau beobachten und sich freuen würde, dass die Band noch existiert. Auch in diesem Moment schaute ich zum Himmel und sah einen einzelnen, dafür aber sehr hellen Stern. Für mich machen solche kleinen Momente einen Konzertbesuch erst so richtig zum unvergesslichen Erlebnis, auch wenn sie dem Einen oder Anderen vielleicht sehr kitschig, unrealistisch oder sogar märchenhaft erscheinen mögen.
Silly und ich
Aber nun zurück zu den Puhdys.
Nach meinem ersten Konzert hatte es kein halbes Jahr gedauert, bis ich sämtliche CD's und Schallplatten der Puhdys besaß. Ich besuchte jedes Konzert meiner neuen Lieblingsband, das ich mir von meinem Taschengeld zusammen sparen konnte und lernte den Tourplan und die Bandgeschichte auswendig.
Noch heute kann den Puhdys in meinen Augen kaum eine Band das Wasser reichen. Ich fühle mich dieser Band sehr stark verbunden, nicht zuletzt, weil sie mich meine gesamte Jugend und in meinen schwersten Zeiten immer mit ihren Songs begleitet haben. Es sind wirklich viele schöne Lieder in all den Jahren entstanden, die generationsübergreifend aktuell bleiben werden. Lieder für die Ewigkeit!
Puhdys-Meilenstein am Tivoli Freiberg
Als die Puhdys jedoch 2015 verkündeten aufhören zu wollen, war das ein riesiger Schock für mich. Beim Abschiedskonzert in der Berliner Mercedes-Benz-Arena heulte ich Rotz und Wasser, wie auf einer Beerdigung. Kein Wunder, hatte ich doch in den Jahren 2001 bis 2016 über 50 Konzerte dieser Band erlebt. Ich fuhr nach Chemnitz, Kamenz, Riesa, Leipzig, Weinböhla, Coswig, ja sogar bis nach Bergen auf der Insel Rügen, um ihre Konzerte zu erleben. Natürlich war ich auch oft in der Puhdys-Stadt Freiberg oder meiner heutigen Heimatstadt Dresden bei ihren Konzerten. Und das sollte jetzt alles vorbei sein?! Meine Idole, die siebenundvierzig Jahre lang zusammen unterwegs waren, alles gegeben haben, sollte es nicht mehr geben? Unvorstellbar!
Puhdys-Fans auf dem Hutberg Kamenz
Siebenundvierzig Jahre Bandgeschichte! Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen und vor allem auch erst mal schaffen! Vor allem nach der politischen Wende war es ganz sicher nicht leicht für die ostdeutschen Musiker, sich unter der ganzen Konkurrenz im gesamtdeutschen Musikbusiness zu etablieren, zu behaupten und zu überleben.
Nur gut, dass kein Mitglied der Puhdys starb, bevor sie aufhörten, ganz im Gegenteil. Es wurde noch richtig spannend, dazu aber später mehr.
Mir kam es trotzdem so vor, als hätte sich der liebe Gott, nach dem Ende der Puhdys immer mehr Musiker in den Himmel geholt. Es waren plötzlich so viele Stars auf einmal, die von uns gingen, dass man hätte denken können, Gott wolle da oben eine Allstar-Band gründen. Alle großen Stars gingen in kürzester Zeit. Vor dem Ende der Puhdys war es Michael Jackson, den ich vor allem als Kind sehr verehrte. Er verstarb direkt an meinem Geburtstag, dem 25. Juni. Ihm folgten Joe Cocker, nach dem in Dresden sogar eine Wiese benannt wurde und auch Lemmy von Motörhead, eine absolute Ikone und ohne Zweifel ein Vorreiter der Rock'n'Roll-Musik. Auch die Beatles, die schon in den frühen 80er-Jahren schwere und tragische Verluste an Musikern erleben mussten, fehlen mir heute sehr. Ich möchte gar nicht daran denken, wenn die Rolling Stones oder ACDC irgendwann von uns gehen, was dann noch in der Rockbranche an guter Musik übrig bleibt! Ein Grund mehr, auch selbst als Musiker für den Erhalt guter Rockmusik einzustehen.
Die Puhdys lebten aber weiter. Auch wenn man es nach der Auflösung kaum noch für möglich hielt, konnten es die einzelnen Musiker der Band einfach nicht lassen, auf die Bühne zu gehen. Sie waren infiziert und sie brennen für das was sie tun, wahrscheinlich, oder sogar ganz gewiss bis zu ihrem letzten Atemzug.
Bei Bassist Peter Rasym wusste man vorher schon, dass er nebenher eine Ausbildung zum Musiktherapeuten angefangen hatte und auch in einer Berliner Justizvollzugsanstalt wöchentlich mit den Gefangenen musizierte. Nach dem Ende der Puhdys basste er dann gelegentlich bei den Ostbands LIFT und RENFT, als Ersatz für deren erkrankte Bassisten.
Auch Dieter "Maschine" Birr, der Songwriter und selbsternannte Frontmann der Puhdys, schlug schon weit vor dem Abschiedskonzert der Puhdys solistische Wege ein. Er produzierte und veröffentlichte während der Puhdys-Abschiedstour ein Soloalbum.
Es dauerte nicht lange und der erste offizielle Dieter-Maschine-Birr-Fanclub wurde von einem Fan aus Chemnitz ins Leben gerufen, was aus meiner Sicht damals die Puhdysfans spürbar spaltete. Man hätte, aus meiner Sicht, vielleicht lieber auf das offizielle Ende der Puhdys warten sollen, bevor man mit all dem an die Öffentlichkeit geht, aber das ist nur meine persönliche Meinung.
Der Keyboarder Peter "Eingehängt" Meyer tingelte seit dem Ende seiner Band hier und da als Saxophonist oder Keyboarder durch die Landen und der Schlagzeuger Klaus Scharfschwerdt versuchte sein Glück mit einer neuen Band.
Alle fünf Musiker der Puhdys waren also weiterhin für ihre Fans da, wenn auch solistisch. So auch das "D" der Puhdys: Dieter "Quaster" Hertrampf.
Quaster war nicht nur ein Gründungsmitglied der Puhdys, sondern aus meiner Sicht auch immer der bessere Sänger. Er sang zum Beispiel die Hymne "Alt wie ein Baum" und knapp 60 andere Titel der Band. Auf der Bühne sorgte er zu Puhdys-Zeiten regelmäßig für den Humor oder als Zeitüberbrücker bei Konzertpannen. Generell kann man sagen, dass er bei den Fans immer sehr beliebt war und auch als Frauenschwarm die ganzen Jahrzehnte nicht zu verachten war.
Auch Quaster beschloss nach dem Ende der PUHDYS solistische Wege zu gehen und entwickelte ein autobiographisches Live-Programm mit dem Titel "Ich bereue nichts". Bei dieser Veranstaltungsreihe erzählte er auf der Bühne von seinem bewegten Leben als Musiker und spielte passende Songs zu den entsprechenden Zeitepochen. Untermalt wurden seine Storys mit Bildern und Videoeinspielungen auf der Leinwand. Ich war erstaunt, doch noch so viele neue Hintergrundinformationen bei diesen Shows erfahren zu können, dass es mich sehr oft zu seiner Show, die sich inhaltlich regelmäßig änderte, gezogen hatte. Passend zu dieser Show veröffentlichte er eine Single mit zwei neuen Songs und stellte eine eigene Live-Band zusammen, mit der er zusätzliche Rockkonzerte veranstaltete. Auch ein Live-Album und eine DVD entstand.
Im Juli 2020 folgte dann sein zweites Soloalbum mit dem Titel "Unterwegs". Das erste Soloalbum von Quaster erschien bereits in meinem Geburtsjahr 1987 und trug den Titel "Liebe pur".
Dieter "Quaster" Hertrampf und ich
Ostrock-Power
Die Ostmusik sie hat gefetzt
die Mauer fiel, so lang ist's her
Doch in den Köpfen steht sie fest
Wir lieben uns're Helden sehr
Ich höre Euch und mir wird klar
nichts wird wieder wie es war
Eure Lieder die mich prägten
im Herzen trafen und bewegten
Die Musiker sind tot
doch voll ist noch der Plattenschrank
Sie entkamen nur knapp dem Verbot
die Lieder leben, Gott sei Dank
City, Puhdys und Karat
Ostrock-Power laut und stark
Fanclub über Nacht
Ich fand es unheimlich traurig, dass Quaster in all den Jahren noch keinen eigenen Fanclub hatte, der ihn bei seinen vielen Projekten unterstützte. Wir Puhdys-Fans waren bei den Konzerten immer wie eine Familie, die man kannte und immer wieder traf. Ich wollte diese Fans nach der Auflösung der Puhdys keinesfalls aus den Augen verlieren und so entstand eines Abends die Idee, den ersten offiziellen Fanclub für Dieter "Quaster" Hertrampf zu gründen. Und mal Hand auf's Herz: Nachdem bereits vor längerer Zeit diverse Fanclubs für die Puhdys und auch für Dieter "Maschine" Birr gegründet wurden, war es doch höchste Zeit, dass es auch einen Quaster-Fanclub gab, oder?
Gesagt, getan! Mit der Gründung dieses Fanclubs, am 15. Januar 2016, hatte ich mir fortan die Unterstützung für Quaster und all seine Projekte auf die Fahne geschrieben. Mein Plan war es, die Fans weiterhin zusammen zu bringen und das bisherige und zukünftige Leben einer Musiklegende, in Wort, Bild und Film zu dokumentieren. Kurzum: Dieser Fanclub sollte eine Lobby für alle Fans der Puhdys werden, die sich nach der Bandauflösung nicht aus den Augen verlieren, oder (vielleicht gerade jetzt) kennen lernen wollten und natürlich für alle Fans von Quaster, die sich rund um das musikalische Leben von Quaster informieren und austauschen wollten. Dafür sollte es bei diesem, von mir ins Leben gerufenen Fanclub diverse Aktionen und Treffen für die Fans geben.
Ich suchte also im Internet nach gleichgesinnten Fans, die mich bei meiner umfangreichen Arbeit unterstützen würden. Die Erste, die sich bei mir meldete, war Netti aus Bremen. Sie war schon viele Jahre Puhdysfan und bot sich an, Ausschau nach Zeitungsartikeln zu halten, die wir dann auf unserer Facebookseite mit den Fans teilen konnten. Schnell hatte der Fanclub tausende Follower bei Facebook und Instagram.
Bei der Gestaltung einer geeigneten Webseite merkte ich dann recht schnell, wie schwer es war, allen Wünschen und Regeln von Quaster's Management gerecht zu werden. Es wurde alles akribisch beobachtet und kontrolliert, was ich tat. Hier passte eine Formulierung nicht und dort war ein Bild, was nicht sein durfte. Auch das Impressum der Webseite dauerte ewig, bis es rechtlich einwandfrei war. Eine Mühe, die sich aber gelohnt hatte, denn täglich besuchten bis zu 2000 Menschen die Webseite des Quaster-Fanclubs.
Quaster selbst stand dem Thema "Fanclub" erst sehr skeptisch gegenüber, freute sich dann aber, als er merkte, dass wir es ernst meinten. Später war er, denke ich, auch recht stolz auf unsere Arbeit.
Dank der guten Zusammenarbeit mit Quaster's Management, seiner Familie und seinen Freunden, aber auch durch seine Nähe zu den Fans, lief der Fanclub stets erstklassig und ausgezeichnet.
Auch wenn es immer sehr aufwendig war und auch eine finanzielle Belastung für mich darstellte, die Webseite am Laufen zu halten und jährlich ein Fantreffen für die Fans zu organisieren, war es mir wichtig, die Fans einmal im Jahr zusammen zu führen.
Ich engagierte zum Beispiel zu jedem Treffen vorwiegend junge Nachwuchsbands aus ganz Deutschland, die zu diesen Events für den musikalischen Rahmen sorgten und versuchte, jedes Jahr ein anderes Bundesland für das Treffen zu wählen, damit die Anreise für alle Fans möglich wurde. So fanden zum Beispiel in den Jahren 2016 bis 2019 im Hotel Kreller in Freiberg (Sachsen) und einem privaten Garten in Erkner (Brandenburg) mit den Künstlern Bastian Lee Jones, Sedony, Ostrea, Frank Proft und der Puhdys-Coverband "Wilder Frieden", Treffen unseres Fanclubs statt. 2020 planten wir ein Fantreffen im Marstall Neubrandenburg in Mecklenburg-Vorpommern, welches aber leider aufgrund der Corona-Krise ausfallen musste.
Quaster ließ es sich auch nicht nehmen, bei jedem Fantreffen persönlich anwesend zu sein und spielte hier und da auch unentgeltlich mit seiner neuen Band für den Fanclub. Es war auch keine Seltenheit, dass Mitglieder des Fanclubs ihn hinter der Bühne oder sogar in seinem beschaulichen Haus in Rahnsdorf besuchen durften. Oftmals durften wir als Fanclub auch seinen Merchandise-Stand betreuen. Er vertraute uns also sein Geld und seine Fanartikel an. Dazu gehört viel Vertrauen, was wir immer versuchten, im höchsten Maße zu pflegen.
Als ich ihn bei seinen Shows in Pirna, Dresden, Großenhain, Weinböhla, Crimmitschau, Freiberg und Jonsdorf begleiten durfte, spürte ich immer sehr stark, dass Quaster ein umgänglicher und ehrlicher Zeitgenosse ist, der sich, weder auf der Bühne - noch privat, seinem biologischem Alter entsprechend benahm. Es wurden lustige Dinge erzählt, sehr viel gelacht, aber auch ernsthaft und akribisch gearbeitet. Andere Herren in seinem Alter würden wahrscheinlich schon am Rollator durch die Gegend laufen, aber Quaster war und ist, jenseits der 70, fit wie ein Turnschuh und immer auf Achse.
Nach seinen Shows wurde dann meist bis in die frühen Morgenstunden bei Bier und Schnaps gefeiert. Einmal wurde nach einer Mugge in Coswig sogar der Kneiper des Forsthauses (um 2 Uhr morgens!) aus dem Bett geklingelt, um für Quaster und seine Crew nochmal die Türen zu öffnen - die Musik hat Durst! Quaster war sehr spendabel und zahlte oftmals viele Runden, manchmal auch die ganze Zeche, ohne zu wissen, was jeder Einzelne getrunken hatte, auch beim Trinkgeld ließ er sich nie lumpen - Geld war für ihn eben nie das Wichtigste.
Als Fanclubleiter bekommt man aber auch die eine oder andere Streitigkeit mit, die nicht öffentlich, sondern intern ausgetragen wird. So wusste ich zum Beispiel, weit bevor die Presse davon Wind bekam, dass Dieter Birr alias Maschine einen Rechtsstreit los getreten hatte und die Hitrechte der Puhdys größtenteils für sich selbst einklagte, was wiederum einen enormen finanziellen Tantiemen-Verlust für die restlichen Musiker bedeutete. Aber auch, was Quaster über gewisse Dinge und Menschen dachte und wie er empfand, bekam man an seiner Seite, oder auch in den Telefonaten natürlich deutlicher mit, als ein Fan, der lediglich die Konzerte besuchte. Ich bin unsagbar stolz auf die Zeit, die ich mit ihm verbringen konnte.
Zusammenfassend kann man sagen, dass Quaster immer sehr großes Interesse an seinen Fans hatte und auch stets alle Vorhaben des Fanclubs unterstützte, auch wenn oftmals Fans anderer Puhdys-Mitglieder versuchten, uns Steine in den Weg zu legen oder im Internet gegen uns hetzten, hielt Quaster zu uns und beruhigte mit einem durchdachten Witz immer schnell die Gemüter.
Quaster, der mich bei unseren Telefonaten und Begegnungen immer liebevoll "El Presidente" nennt, war, ist und bleibt ein guter Freund, ein absoluter Perfektionist und ein großes Idol für mich!